Kollektivbestrafung für westliches Versagen

Von Emran Feroz · · 2023/Jul-Aug
Kurzkommentar

Der Westen hat Afghanistan vergessen. Darunter leidet allen voran die afghanische Bevölkerung.

Seit nun fast zwei Jahren regieren die militant-islamistischen Taliban wieder in Afghanistan. Die  humanitäre Lage verschlechtert sich rapide. Dass die afghanische Wirtschaft noch funktioniert und nicht schon längst kollabiert ist, grenzt de facto an ein Wunder. Selbst die britische Wochenzeitung The Economist sah sich daher gezwungen, die neuen Machthaber in gewisser Art und Weise zu loben. Die Taliban hätten sich in wirtschaftlicher Hinsicht fähiger gezeigt als anfangs angenommen und würden etwa tagtäglich Millionen US-Dollar durch Zolleinnahmen generieren.

Dennoch aber hungern fast die vierzig Millionen Afghan:innen – die meisten von ihnen bereits seit Jahren. Schon vor dem Rückzug der NATO und dem Fall der afghanischen Republik gab es keinen klaren langfristigen Wirtschaftsplan.

Stattdessen wurden Milliarden ohne jegliche Kontrolle und Regulierung ins Land gepumpt. Viel davon landete in den Taschen korrupter Politiker und Warlords, die wissen, wie man Geld außer Landes bringt.

Korrupte Elite geduldet. Nach der Taliban-Machtübernahme im August 2021 flohen Kabuler Eliten außer Landes. Viele von ihnen leben weiterhin in Saus und Braus, etwa in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Europa oder den USA.

Währenddessen müssen jene leiden, die den fatalen Kriegsausgang nicht mitzuverantworten haben: die afghanische Bevölkerung. Sie leidet unter der zunehmenden internationalen Isolierung und den Sanktionen wegen der regierenden Taliban. Nun wollen sich aufgrund deren repressiver Politik, die in erster Linie Frauen betrifft, womöglich auch die UN zurückziehen.

Ein solcher Schritt wäre fatal für die Zivilgesellschaft. Die Akteure, die für die Afghanistan-Misere maßgeblich Mitschuld tragen, wollen keine Verantwortung übernehmen.

Klientelwirtschaft und kein Plan. Zwanzig Jahre lang wurde unter der Kontrolle westlicher Mächte, allen voran der USA, kein wirtschaftlich souveräner Staat geschaffen, sondern eine zutiefst abhängige, neoliberale Klientel- und Kriegswirtschaft betrieben, von der nur ein kleiner Teil der Bevölkerung profitierte.

© Amir Kaufmann

Emran Feroz ist freier Journalist und Autor. Er berichtet regelmäßig aus und über Afghanistan. Sein Buch „Der längste Krieg – 20 Jahre War on Terror“ (Westend, 2021) wurde zum Bestseller.

Der Krieg im Land ging ohne Exit-Strategie weiter, bis die USA nach zwanzig Jahren und ohne jegliche Selbstkritik entschieden, alle Verhandlungskanäle zu den Taliban abzubrechen und abzuziehen.

Die US-Soldaten übergaben den Taliban das Ruder. Dabei wusste man nur zu gut, um wen es sich handelt. Genauso ist bekannt, dass die bald nach ihrer Machtübernahme erlassenen Sanktionen in erster Linie keinen Taliban-Führer treffen – viele von ihnen sind wohlhabend und betreiben florierende Geschäfte –, sondern die Afghan:innen.

Abseits dieser Symbolpolitik hat der Westen keinen Plan. Der US-dominierte Umgang mit Afghanistan, er ist und bleibt ein Desaster.

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